Politik für die Jugend

Die Schaffhauser Regierung will Neuzuzüger in den Kanton locken, um den Kanton zu verjüngen. Doch sie macht wenig dafür, dass Schaffhausen für Junge überhaupt attraktiv ist.

Schaffhausen will wachsen. Dreitausend Leute – vorwiegend Junge, insbesondere junge Familien – sollen in die Region ziehen. Die Wirtschaftsförderer haben ein Immobilienportal aufgebaut und eine Werbekampagne im Raum Zürich gestartet, um Neuzuzüger anzulocken.

Die Politiker haben Steuern gesenkt und freuen sich über die schmucken Wohnungen, die jetzt hinter dem Bahnhof entstehen, weil damit Gutverdiener geangelt werden könnten, die wiederum viel Steuern bezahlen, womit man die Steuern senken könnte, sodass das Spiel wieder von vorne beginnt. Nur, dass es dann kein freies Land zum Überbauen mehr gibt. Die Werbekampagne für die Jungen, die bereits in Schaffhausen wohnen, manifestiert sich in etwas kryptischen Plakaten, die in der Altstadt «Respekt» fordern und vor allem «Ruhe» meinen.

Die Stossrichtung ist klar: Der Kanton will mit besserverdienenden Zuzügern sein Steuersubstrat stärken. Das angestrebte Wachstum ist bereits in vollem Gange und es ist höchste Zeit, sich einzumischen. Denn eines wird bei der Diskussion um die Verjüngung der Bevölkerung im Kanton durch Zuwanderung vergessen: Wie kann man die Jungen, die schon hier wohnen, dazu bewegen, zu bleiben? Dazu hat sich die Lappi-Redaktion einige Gedanken gemacht.

Freiraum

Die Räume, in denen wir uns bewegen, verändern sich. Ein Teil unserer Lebenswelt hat sich in die virtuelle Welt des Internets verschoben. Der Stammtisch wird zu Facebook, der Bandraum zur Musiksoftware, die Fotogruppe zu Flickr. Dennoch: Die real existierenden Räume wird es weiterhin brauchen, schliesslich ist auch der Mensch bis anhin noch real und physisch vorhanden. Um an der Gesellschaft teilnehmen und sich einmischen zu können, braucht er Zugang zu öffentlichen Räumen. Damit ist nicht das reine Begehen, sondern das Gestalten gemeint. Einen Raum, den die Jugend nicht gestalten darf, wird sie nämlich nicht nutzen.

Freiräume sind nicht durchreguliert und haben keine vordefinierte Funktion. Der Raum muss sich der Nutzung anpassen, nicht umgekehrt. Solche Räume sind rar. Der Herrenacker wurde leblos gestaltet. Eine Wüste, die hin und wieder einen orchestrierten Grossanlass oder einen Markt erleben darf. Ansonsten ist der Platz so gestaltet, dass er leer bleibt. Nicht anders sieht es mit den Räumen aus, die die Jugend schon immer besetzt hat: das Nachtleben, die Strassen rund um die Clubs und Bars in der Stadt. Dort wachen nun zu angeblichen Abschreckungszwecken Videokameras über das Partyvolk. Ein letztlich chancenloser Versuch, die Nutzungshoheit über den öffentlichen Raum zu behalten. Selbst auf dem Mosergarten, dem vergleichsweise gemütlichsten Platz in der Stadt, darf selten bis spät in die Nacht gefeiert werden.

Es ist deshalb nichts anderes als ein Ausdruck einer selbstbewussten Jugend, wenn sie neben dem Kraftwerk eine illegale Party schmeisst, wenn sie in die Flurlinger Badi geht statt in die KSS, in die Rhybadi oder ans Lindli, wo die Polizei früher – als die Jugendlichen noch den Feierabend dort genossen – fast so intensiv patrouillierte wie in der Altstadt. Die Jugend sucht sich einen Raum, der möglichst wenig von den Behörden strukturiert und geplant wird.

Statt die wenigen Räume, die es in der Stadt gibt, mit Regeln und Parkplätzen zu verrammeln, sollten Freiräume bewusst geschaffen werden. Ein erweiterter, grüner Kammgarnhof, der nicht nur aus Parkplätzen besteht und bis an den Rhein reicht, könnte ein solcher Freiraum sein. Wenn der Jugend solche Freiräume verweigert werden, ist das Ziel, junge Leute in Schaffhausen zu behalten, eine reine Farce.

Wohnraum

Auch beim Wohnraum zeichnet sich ein konkreter Verdrängungsprozess ab. Der Leerwohnungsbestand ist klein, der Preisdruck wächst. Es ist deshalb nicht schwer, zu erahnen, in welche Richtung sich die Mietpreise entwickeln werden. Vor allem auch, wenn man die grossen Bauprojekte in der Stadt betrachtet. Zum Beispiel hinter dem Bahnhof oder entlang der Buchthalerstrasse, wo grosse Investoren – meist von auswärts – ihr Geld angelegt haben. Was dort entsteht, ist ein inszeniertes Quartier für Gutverdiener, ohne Durchmischung und bestimmt nicht für die Jungen, sondern allenfalls für diejenigen, die sich jung fühlen möchten.

Was junge Menschen und Familien brauchen, sind nicht teure Luxuswohnungen und Lofts. Familien brauchen bezahlbare Wohnräume in lebendigen Quartieren, die Jugend will preiswerte Wohnungen in der Stadt. Junge sind genauso mobil wie ManagerInnen nationaler oder internationaler Unternehmen. Sie sind auf gute Verkehrsanbindungen – sprich den Bahnhof – angewiesen, der Job wechselt häufig und studieren kann man nur auswärts.

Was also kann die Stadt machen? Ein Beispiel sind die Wohnbaugenossenschaften. Während die Grube in der Bleiche bereits ausgehoben ist, sind die Pläne der IG Altstadt, welche die Lokalitäten in der Karstgasse umnutzen wollte, bereits wieder in Vergessenheit geraten.

Was eine attraktive Stadt ebenfalls braucht, sind Ateliers, Bandräume und günstige Büroräume. Auch hier wird das grosse Geld, also internationale Grossunternehmen wie Citrix, Tyco, Garmin, Caterpillar oder Suntech, gehätschelt, während für die Kleinen – auch Startups und KMU, die ja laut Politik das Rückgrat unserer Wirtschaft sind – kaum Raum zur Verfügung steht. Der städtische Raum zwischen den Hügeln mit den Wohnquartieren Breite, Buchthalen und Emmersberg ist klein – doch mit den Neubauten wurde kein Raum für die Jungen geschaffen. Genauso verpasst es die Stadt regelmässig, ungenutzte Räume wie etwa die Stahlgiesserei zur Zwischennutzung freizugeben.

Bildung

Was bieten wir den jungen Familien, die ihre Kinder bald einschulen müssen, und den Kanti- und Lehrabgängern? Nicht viel: Die Hochschulinitiative und die Lehrstelleninitiative wurden abgelehnt und jetzt sparen wir zusätzlich in allen Bildungsbereichen. Das ist eine ausgesprochen schlecht formulierte Einladung für Junge.

Was also tun? Wir müssen in der Bildung dennoch vorwärts gehen. Nicht wie in der Stadt Schaffhausen stetig auf andere Gemeinden und Kantone verweisen, die mit den neuen Modellen wie der integrativen Schulform, der durchlässigen Sekundarstufe oder Schulleitungen nicht ausschliesslich gute Erfahrungen gemacht haben, um dann sämtliche Neuerungen aufzuschieben. Wir müssen eigene Wege suchen, wenn wir mit allen bestehenden Schulformen nicht zufrieden sind. Wenn die Schulleitungen abgelehnt werden, weil die Eltern und Lehrer Angst davor haben, dass SchulleiterInnen zu viele Kompetenzen erhalten, wieso demokratisieren wir die Schulleitungen dann nicht? SchulleiterInnen machen Vorschläge, die LehrerInnen stimmen ab.

Gute Schulen sind laut zahlreichen Studien für den Wohnortentscheid wichtiger als tiefe Steuern. Eine gute Schule braucht gute LehrerInnen, und gute LehrerInnen wollen anständig entlöhnt werden. Es ist ein Armutszeugnis für Schaffhausen, dass viele junge, engagierte Lehrkräfte nach der Ausbildung im Kanton Zürich arbeiten, weil sie dort nicht nur höhere Löhne, sondern auch ein moderneres und attraktiveres Arbeitsumfeld vorfinden. Auch im Bereich der Tagesstrukturen, also der Horte und Kindertagesstätten, hinkt Schaffhausen hinterher. Man baue diese Angebote erst aus, wenn dafür ein Bedarf bestehe, heisst es von Seiten der Stadt. Mit anderen Worten: Die Eltern sollen erst kommen und bessere Angebote fordern, dann machen wir Schaffhausen für sie attraktiv: Eine fragwürdige Strategie.

Mitbestimmung

Es gibt zwei Demokratiemodelle: Entweder dürfen diejenigen mitbestimmen, die von einem Entscheid betroffen sind, oder es dürfen diejenigen mitbestimmen, die aufgrund von Traditionen das Recht dazu haben. Schaffhausen funktioniert, wie fast die gesamte Deutschschweiz, eher nach dem zweiten Modell. Was passiert, wenn nicht die Betroffenen mitbestimmen, sondern die Planung von oben herab diktiert wird, zeigen die Beispiele Rhybadi und Herrenacker deutlich.

Statt einem Pseudo-Aufwertungsprozess Rheinufer, den die StadtpolitikerInnen nur halbherzig und mit meist verfehlten Vorstellungen vorwärts treiben, sollte deshalb eine richtige Mitbestimmung gefördert werden. In allen Bereichen.

Das gilt zum Beispiel für das Ausländerstimmrecht. Wieso sollen sich Personen, die seit Jahren in der Region wohnen, nicht vollständig am öffentlichen Leben beteiligen dürfen? Sie sind ebenso von Entscheiden betroffen wie die SchweizerInnen. Natürlich können sich die Personen in einem aufwändigen und teuren Prozess einbürgern, aber macht das unsere Demokratie in irgendeiner Weise besser? Ganz Europa beklagt die sinkende Partizipation bei Wahlen, also gilt es doch, die Mitbestimmung so gut wie möglich auszuweiten. Das gilt auch für die Jugendlichen: Es gibt kein stichhaltiges Argument gegen das Stimmrechtsalter 16. Dem Jugendparlament, könnte man politische Instrumente zur Verfügung stellen, mit denen sie Einfluss auf kommunale Parlamente nehmen könnten.

Für alle EinwohnerInnen könnten Stadt und Kanton den Dialog mit der Politik via Internet ermöglichen. Wie wäre es mit einem Online-Portal, auf dem jeder und jede der Verwaltung und der Politik unkompliziert und öffentlich Fragen stellen kann? Die Demokratie lebt von der Partizipation.